Mit Armut nicht abfinden

Sabine Leidig (DIE LINKE)

Es hat Erstaunen hervorgerufen, dass im Nachbarland Frankreich Hunderttausende mit großer Wut (und gelben Warnwesten) auf die Straße gehen, die offenbar niemand auf dem Schirm hatte. Eine Steuererhöhung auf Benzin hatte das Fass zum Überlaufen gebracht: Wenn du jeden Monat sparen und knapsen musst, um über die Runden zu kommen; wenn du gar nichts auf der hohen Kante hast, vor jeder Stromrechnung bangst und die Weihnachtswünsche der Kinder fürchtest, weil das Geld fehlt... Dann kann Klimaschutz noch so richtig sein - die Ärmeren können einfach nichts mehr bezahlen. Aber das müssten sie auch nicht, wenn die Reichen gerecht besteuert werden würden.

Auch bei uns ist Armut längst kein Randproblem mehr: in seinem Armutsbericht 2018 beschreibt der Paritätische Wohlfahrtsverband, dass heute weder Arbeit noch Bildung ein auskömmliches Einkommen garantieren.

Fast 14 Millionen Menschen, also jede sechste Person in Deutschland und jedes fünfte Kind, sind von Armut betroffen - der höchste Stand seit 30 Jahren. Die meisten verfügen über ein mittleres oder höheres Bildungs- bzw. Qualifikationsniveau; Fast jede*r zehnte Erwerbstätige ist arm. Fast 20 Prozent der sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigten werden mit Niedriglöhnen abgespeist, die unter 2000 Euro brutto pro Monat liegen - das sind 4,2 Millionen Menschen.

Der Mindestlohn bringt heute bei einer Vollzeitstelle ein monatliches Brutto von 1.338,62 Euro. Aber damit ist für viele nicht einmal das staatlich anerkannte Existenzminimum gedeckt. Wer ein kleines Kind hat und mehr als 336 Euro Miete zahlt, ist schon auf staatliche Transferleistungen angewiesen - muss all sein bisschen Ererbtes oder Erspartes aufbrauchen und bleibt arm trotz Arbeit. Passend zur Weihnachtszeit werfen wir zum Beispiel einen Blick auf die die Post- und Paketdienste: Nahezu eine halbe Million Beschäftigte sorgen dafür, dass die wachsende Flut unserer Briefe, Päckchen und Pakete angeliefert wird. Die meisten bekommen Niedriglöhne für diese harte Arbeit und eine wachsende Zahl von Subunternehmen drücken die Arbeitsbedingungen noch weiter nach unten. Aber Jeff Bezos, der Chef von Amazon, ist milliardenschwer und der reichste Mann der Welt.

Höchste Zeit, dass wenigstens der gesetzliche Mindestlohn auf mindestens 12 Euro pro Stunde angehoben und tatsächlich durchgesetzt wird. Armut ist kein Naturgesetz, sondern politisch verursacht. Wir dürfen uns nicht damit abfinden!