Nahverkehrsplan auf neuen Wegen

Test bestanden: Nachdem das „Easy Shuttle“ im Jahr 2021 über 500 Kilometer im öffentlichen Straßenverkehr in Bad Soden-Salmünster absolviert hat, soll es im kommenden Jahr erneut einen Testlauf geben. Der Ort steht noch nicht fest. Foto: KVG/PM

Mit einem leisen Surren fährt das „Easy Shuttle“ die Allee am Rande des Bad Sodener Kurparks entlang. Hier rollt ein Stück Zukunft – wenn auch noch in „Kinderschuhen“.

Region – Wie von Geisterhand weicht das Elektro-Fahrzeug, das in Form und Größe eher an eine Skilift-Kabine erinnert, einem geparkten Auto aus. Die Geschwindigkeit von bis zu elf Stundenkilometern ist für den Rundkurs zwischen der Salztal-Klinik, der Spessart-Therme und dem Festplatz in Bad Soden angemessen.

Für die Verantwortlichen von Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV), Kreisverkehrsgesellschaft (KVG), Regionalverkehr Main-Kinzig (RVMK), dem Main-Kinzig-Kreis und der Stadt Bad Soden-Salmünster stellt der erste Einsatz des „Shuttles“ im öffentlichen Straßenverkehr einen Meilenstein dar. Denn das Projekt, das im Sommer 2021 gestartet ist, vereint gleich zwei zukunftsweisende Themenfelder: alternative Antriebe und autonomes Fahren.

„Unsere Vision ist, dass autonome Fahrzeuge den ÖPNV der Zukunft überall dort ergänzen, wo Bus und Bahn nicht ganz passgenau fahren können: zu früher und später Stunde sowie im ländlichen Raum, wo es weniger Linienverbindungen gibt“, erläuterte der RMV-Geschäftsführer Dr. André Kavai zum Projektstart. „Damit die Shuttles in der Zukunft den ÖPNV optimal ergänzen, gilt es nun, sie zielgerichtet weiterzuentwickeln und an die Bedürfnisse des Verkehrs anzupassen.“

Diese Bedürfnisse zu ermitteln und die jeweils passenden Verkehrsmittel auf Straße und Schiene miteinander zu verknüpfen, ist das Ziel des neuen Nahverkehrsplans, der aktuell von der KVG mit ihren Partnern entwickelt wird. So wurde soeben eine Befragung unter den Kommunen im Main-Kinzig-Kreis abgeschlossen, um zu erfahren, wo vor Ort in Sachen Verkehr der Schuh drückt.

Als Basis für den neuen Nahverkehrsplan wurde bereits im vergangenen Jahr unter Beteiligung der Bürger ein Leitbild Mobilität erarbeitet. Demnach soll die öffentliche Mobilität der Zukunft ressourcenschonend und klimafreundlich sein und für alle Zielgruppen einfach, niedrigschwellig, barrierefrei und zuverlässig funktionieren.

Wie schwierig diese Aufgabe ist, wird anhand einiger Zahlen deutlich: So gibt es im Zuständigkeitsbereich der KVG zehn Linienbündel mit insgesamt 9,45 Millionen Fahrplankilometern, die von verschiedenen Verkehrsbetrieben bedient werden. 191 Fahrzeuge sind dafür täglich im Einsatz, die 790 Haltestellen (ohne Stadt Hanau) und 29 Bahnhöfe im Kreisgebiet miteinander verbinden.

In einem derart komplexen Geflecht ist es nicht zu vermeiden, dass Baustellen, Unfälle oder erkrankte Fahrer regelmäßig zu Änderungen, Ausfällen oder Verspätungen führen. Digitale Vernetzung und Echtzeitpläne, die über Apps abrufbar sind, sollen hier künftig den Informationsfluss für die Fahrgäste verbessern.

Überhaupt eröffnet der technische Fortschritt – wie auch am Beispiel des „Easy Shuttle“ ersichtlich – zahlreiche Möglichkeiten für die Verkehrsplanung. Da kommt es gar nicht ungelegen, dass sich die Fortschreibung des Nahverkehrsplans, der ursprünglich nur bis 2018 gelten sollte, verzögert hat. „Zwischenzeitlich haben sich bedeutende Entwicklungen ergeben, die nun direkt in den Prozess einfließen können“, erläutert KVG-Prokuristin Anja Preuß. „Vor allem der Einsatz von alternativen Antriebstechniken und die damit verbundenen Infrastrukturen, werden den neuen Nahverkehrsplan maßgeblich beeinflussen.“

KVG-Geschäftsführer Rüdiger Krenkel weist darauf hin, dass diese Investitionen in die Zukunft mit deutlichen und spürbaren Kostensprüngen verbunden seien, die im neuen Nahverkehrsplan Berücksichtigung finden würden. „Sämtliche Umlaufpläne der insgesamt zehn Linienbündel im Kreis werden dann auf dem Prüfstand stehen“, kündigt Krenkel an. Es gelte zu prüfen, welche Antriebstechnik, zum Beispiel Elektromobilität oder Wasserstoff, für die jeweiligen Routen geeignet sei. Neben der Topografie, die sich erheblich auf die Reichweiten der Fahrzeuge auswirke, müssten ebenso die länger andauernden Lade- und Betankungszeiten der Busse berücksichtigt werden.

„Spannend ist auch, was der Fahrzeugmarkt in Zukunft anbieten wird“, erklärt Preuß. „Aktuell gibt es wenige Fahrzeuge, die sämtliche Wunschkriterien erfüllen und über eine Fahrzeughöhe verfügen, die das Durchfahren bestehender Unterführungen ermöglichen. Auch hier müssen die Verkehrsunternehmen dann möglicherweise ihre Umlaufpläne anpassen.“

Krenkel sieht die Wasserstofftechnologie vor allem für die Fläche geeignet. „Problem hierbei ist aber, dass die Entwicklung der Wasserstoffmobilität im Vergleich zur Elektromobilität gute fünf Jahre zeitverzögert ist. Da haben wir dringenden Nachholbedarf.“

Bis zur Neuausschreibung der Linienbündel ab dem Jahr 2025 müsse in jedem Fall auch eine entsprechende Infrastruktur zur Verfügung stehen. Schwerpunkt der Prüfung von neuen Infrastrukturen solle zunächst ein Gebiet im Bereich um Gelnhausen und Wächtersbach sein.

Doch neben den klassischen festgelegten Buslinien setzen die Verkehrsplaner künftig auch auf sogenannte „On-Demand-Angebote“. Dabei handelt es sich um eine Art Shuttleservice für mehrere Personen. Der Fahrgast kommuniziert seinen Fahrtwunsch und Standort via Smartphone-App. Diese gruppiert nach vorgegebenen Parametern gleich gelagerte Verbindungsziele. Menschen, die im selben Zeitfenster in dieselbe Richtung fahren möchten, steigen unterwegs zu – ähnlich wie bei einer Buslinie. Der Unterschied ist, dass die Beförderung weder nach einem festgelegten Linienweg noch nach einem Fahrplan erfolgt.

Für den neuen Nahverkehrsplan soll zumindest ein Grobkonzept dafür entwickelt werden. Perspektivisch könnten On-Demand-Angebote in der Fein- und Flächenerschließung abseits der Hauptachsen oder als Zu- und Abbringerverkehr des ÖPNV und in Schwachlastzeiten geschaffen werden. So könnten Kosten-, Energie- und Platzbedarf reduziert und sowohl Mobilitäts- als auch Umweltziele erreicht werden.

Viel zu tun also für die Verkehrsplaner, die in Kürze erneut auch die Bürger über eine eigens eingerichtete Plattform im Internet am Prozess beteiligen wollen. Der neuaufgestellte Nahverkehrsplan soll dann im zweiten Quartal 2023 im Kreistag verabschiedet werden und den jetzigen aus dem Jahr 2013 ersetzen. Übrigens: Auch das Projekt „Easy Shuttle“ wird im Jahr 2023 fortgesetzt. Spannend bleibt noch, in welcher Kommune der kleine autonome Elektro-Bus dann fahren wird.

VON JAN-OTTO WEBER