„Geringe wirtschaftliche Konsequenzen“

Dr. Gunther Quidde ist Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer. Foto: PM

Region – Unsere Zeitung hat die Industrie- und Handelskammer (IHK) Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern um ein Statement zum Ukrainekrieg gebeten und gefragt, inwieweit die IHK über die wirtschaftlichen Folgen besorgt ist.

Dazu äußert sich Dr. Gunther Quidde, Hauptgeschäftsführer der IHK: „Es fällt schwer, über Außenwirtschaftsdaten zu schreiben, während Ukrainer für ihr Land und ihre Freiheit sterben. Aber da sich die erste Reaktion des Westens im Wesentlichen auf Proteste und Sanktionen – vor allem wirtschaftlicher Art – konzentriert, ist es sicher angebracht, sich näher mit möglichen Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft zu befassen.“

Russland, so Quidde, habe schon seit vielen Jahren, auch in jüngster Zeit, wirtschaftliche Kontakte nach Deutschland, Hessen und immer wieder auch in den Main-Kinzig-Kreis. „Besonders hoffnungsvoll gestalteten sich zuletzt auch die Kontakte in die Ukraine. Mir sind Unternehmen aus dem Main-Kinzig-Kreis bekannt, die Niederlassungen oder sogar Tochterfirmen in der Ukraine haben. Neben Maschinenbaufirmen und Elektrotechnikspezialisten arbeiten auch einige Großhändler und IT-Firmen in der Ukraine“, so der IHK-Chef.

Mit Blick auf die gehandelten Waren führt Quidde aus: „Russland liefert Rohstoffe, nicht nur Öl und Gas, sondern auch Edelmetalle und seltene Erden. Das sind fast die einzigen weltmarktfähigen Exportgüter, und sie gelangen deshalb auch zu uns. Die Handelsbilanz Hessens – für den Main-Kinzig-Kreis selbst wird das nicht ausgewiesen – berücksichtigt dabei längst nicht alles, sie bildet zum Beispiel keine Transportleistungen ab, die Unternehmen des MKK in beide Staaten vollbringen.“

Dennoch lohne, so Quidde, ein Blick auf die Zahlen: Hessen exportierte 2021 für gut eine Milliarde Euro Waren nach Russland. „Das sind zwar sechs Prozent mehr als im Vorjahr, aber nur etwa 1,5 Prozent aller hessischen Exporte – insgesamt liefern wir weniger nach Russland als wir weltweit an Pkw und Wohnmobilen exportieren.“ Und in Hessen habe man nicht viele Automobilwerke und Wohnmobilhersteller.

Noch schwächer sei es um die Ukraine bestellt: Hessens Exporte sind gegenüber dem Vorjahr um 15 Prozent auf 190 Millionen Euro gestiegen. Quidde dazu: „Das sind aber gerade mal 0,3 Prozent der hessischen Exporte – oder anders formuliert: Hessen exportiert an 41 Millionen Ukrainer weniger als an Norwegen (226 742 EUR), das 36 Millionen weniger Einwohner hat. Da Hessen, anders als oft vermutet, mehr im- als exportiert, bilden russische Rohstoffe eine nennenswerte Größe, dennoch umfasst der Import aus Russland mit rund 4,5 Millionen Euro doch nur 3,7 Prozent aller hessischen Einfuhren. Importe aus der Ukraine machten im Jahr 2021 mit 89 686 Euro sogar nur 0,08 Prozent des hessischen Imports (119,3 Millionen Euro) aus.“

Quidde weiter: „Anders formuliert: Ein armes, aber hochgerüstetes Land überfällt ein noch ärmeres, schwachgerüstetes“ bewertet er die Lage. Seine Einschätzung: „Die wirtschaftlichen Konsequenzen für den Main-Kinzig-Kreis und Hessen insgesamt sind auch bei harten Sanktionen gering. Deshalb muss die Politik vor ihrer Anwendung auch nicht zurückschrecken. Ob das allerdings der Ukraine im Kampf um ihre Unabhängigkeit noch hilft, weiß ich nicht.“
 kb