Arbeit für Ukrainer extrem wichtig

Corinna Geßinger und Cedric-Joshua Petzold vom Jobcenter begleiten Flüchtlinge bei der Arbeitssuche. Foto: Christine Semmler

KCA-Mitarbeiter berichten über Jobvermittlung unter ganz neuen Voraussetzungen.

Gelnhausen – Als im März 2022 der Krieg über die Menschen in der Ukraine hereinbrach, hätten die wenigsten vermutet, dass er bis heute, zwei Jahre später, immer noch andauern wird. In den vergangenen Jahren musste sich auch das Kommunale Center für Arbeit (KCA) nach und nach auf die neue, nicht vorhersehbare Situation einstellen.

Inzwischen weiß man freilich weit mehr, erklärt Corinna Geßinger, die Leiterin des Referats Markt und Integration. Zum Beispiel, dass 80 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge im Main-Kinzig-Kreis dauerhaft in Deutschland bleiben wollen. „Zuhause erwartet sie nichts mehr“, ergänzt Cedric-Joshua Petzold, der den KCA-Standort für die Betreuung ukrainischer Geflüchteter in Langenselbold betreut.

Ihre Bilanz: Aktuell leben über 1800 so genannte Bedarfsgemeinschaften im Kreis, das sind Mütter mit Kindern, Paare, Familien. Über 4000 Menschen, die in diesen Gemeinschaften leben, haben Anspruch auf Sozialleistungen, fast 3000 davon sind erwerbsfähig.

Dass ukrainische Flüchtlinge uneingeschränkt Anspruch auf Sozialleistungen und auf Arbeit haben, stellt das KCA vor neue Herausforderungen. „Flüchtlinge aus anderen Ländern haben zumindest ein bis zwei Jahre ungesteuerten Spracherwerb, bevor sie in den Arbeitsmarkt einsteigen“, sagt Geßinger. Ukrainische Geflüchtete dürfen zwar theoretisch sofort hier arbeiten – haben aber in den seltensten Fällen Deutschkenntnisse. „Mit Englisch sieht es ähnlich aus“, sagt Geßinger. Denn Ukrainer lernen in der Regel Russisch als zweite Fremdsprache. Die Sprachbarriere ist das größte Hindernis, die Menschen hierzulande in Arbeit zu bringen.

Die Integrations- und Sprachkurse des Bundesamts für Migration, die neben rund 2300 Ukrainern im Kreis auch Drittstaatler betreuen, stoßen derweil an die Kapazitätsgrenze. Also müssen Interessenten sechs bis neun Monate warten, bis sie einen Platz bekommen. Bis der Kurs abgeschlossen ist und die Abgänger sprachlich fit für den Arbeitsmarkt sind, gehen weitere neun bis zehn Monate ins Land. 1000 Ukrainer stünden gerade auf der Warteliste. Aber nach und nach gibt es auch Erfolgsgeschichten über gelungene Vermittlungen zu erzählen.

Um die Wartezeit bis zum Sprachkurs zu überbrücken, bietet das KCA gemeinsam mit der kreiseigenen AQA das fortlaufende digitale Orientierungs-Programm „Ukrainer bei uns“ an. Teilnehmer erhalten in zehn Wochen erste Kenntnisse in deutscher Sprache, im Umgang mit Behörden, und Einblicke in die Ausbildungs- und Berufslandschaft. „Hier haben wir einen großen Anteil an Frauen mit kleinen Kindern“, erläutert Geßinger. „Sie nehmen vom Handy aus am Programm teil.“ Fehlende Kinderbetreuung sei übrigens ein weiteres Hemmnis für die Integration in den Arbeitsmarkt: Ukrainische Frauen, die in den Main-Kinzig-Kreis geflohen sind, haben selten eine Familie, die ihnen den Rücken für den Besuch eines Integrationskurses freihalten kann. Andere trifft das Mobilitätsproblem: Die Verbindungen mit dem ÖPNV seien vor allem im ländlichen Ostkreis nicht günstig, außerhalb eine Arbeit aufzunehmen.

Keiner der ukrainische Berufs- und Studienabschlüsse wird in Deutschland anerkannt, selbst Handwerker und Erzieher können nicht ohne weiteres in ihrem Beruf arbeiten. „Ukrainische Abschlüsse sind sehr theorielastig“, erklärt Geßinger. Ziel des von der Bundesregierung ausgerufenen „Jobturbo“ ist es ohnehin, Geflüchtete unerachtet der Qualifikation erst einmal so schnell wie möglich in Arbeit zu bringen. Aus dieser Position heraus können sich die Menschen dann weiterqualifizieren.

Im osteuropäischen Land gibt es einen sehr hohen Anteil an Akademikern. „Die Menschen legen viel Wert auf ein Studium, haben teilweise zwei bis drei Abschlüsse.“ Praxisbezogene Ausbildungen genössen in der Ukraine allerdings keinen guten Ruf. „Es ist schwer junge Menschen zum Wechsel in ein duales Studium zu bewegen“, sagt Geßinger. Viele wollten das klassische Studium, das sie in der Heimat angefangen haben, digital beenden.

Um Arbeitgeber und Arbeitnehmer schnell und effektiv zusammen zu bringen, gab es inzwischen mehrere Job-Speed-Datings unter dem Titel „Meet-Match-Work“. Das sind größere Veranstaltungen überall im Kreis, bei denen Arbeitgeber mit Jobsuchenden zusammen gebracht wurden. „Die sind ein voller Erfolg“, erklärt Petzold. Umso häufiger die Speed-Dates stattfanden, desto mehr Bewerber kamen: Ein Effekt der positiven Mundpropaganda: „Die ukrainische Community ist unglaublich gut miteinander vernetzt“, sagt Petzold. Und in der Regel sei die Motivation der Geflohenen, hier wieder einem Beruf nachzugehen, sehr hoch. „Arbeit ist für Menschen aus der Ukraine extrem wichtig“, erklärt der KCA-Mitarbeiter und merkt an, dass auch die Bereitschaft von Arbeitgebern ebenfalls groß sei. „Sie sind ukrainischen Flüchtlingen gegenüber viel aufgeschlossener, als sie es sonst sind.“

608 Ukrainer, erklärt Geßinger, hätten inzwischen im Kreis eine Arbeit, eine Ausbildung oder ein Praktikum begonnen. Das sei, findet sie, aufgrund der schwierigen Ausgangslage „ein großartiges Ergebnis“.

Von Christine Semmler