Unbequeme Fragen, klare Positionen

Landeswirtschaftsminister Tarek Al-Wazir stellte sich zahlreichen kritischen Fragen der Auszubildenden in der Gesundheitsakademie Gelnhausen. Foto: Andrea Euler

Der Hörsaal der Akademie für Gesundheit in Gelnhausen ist prall gefüllt: Der Besuch des hessischen Wirtschaftsministers und Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten (Grüne), Tarek Al-Wazir, der auf Sommertour durch Hessen reist, ist ein Pflichttermin für die Auszubildenden in den Pflegeberufen.

Gelnhausen – Die jungen Menschen sind gut vorbereitet, und sie stellen durchaus unbequeme Fragen. Al-Wazir darf sich dazu äußern, wie der Weg zur Schule bewältigbarer, das Image der Pflegenden besser, die Situation in den Lehrräumen angenehmer werden könne.

Zunächst jedoch zeigen die Auszubildenden einen Film, in dem sie ihre Wünsche bezüglich notwendiger Veränderungen in ihrem Beruf dokumentieren: Von „mehr Zeit“ über „autonomes Arbeiten“ bis hin zu „flexiblen Arbeitszeitmodellen“ und „mehr als Applaus und Kekse“ reichen die Wünsche, die der Minister zu hören bekommt. „Sie sehen, es gibt noch sehr, sehr viel zu tun“, sagt Anett Taranko, die Akademieleiterin, in ihrer Begrüßung. Landrat Thorsten Stolz (SPD) und Grünen-Direktkandidat Günther Koch sprechen Grußworte, ermuntern die jungen Leute, Fragen zu stellen. Darauf haben diese nur gewartet: Was er denn von den 24-Stunden-Diensten für Ärzte halte, „das kann so nicht sein, finden Sie nicht?“, kommt eine Besucherin direkt zum Punkt. Der stellvertretende Ministerpräsident stimmt zu: „Sie haben völlig recht“, räumt er ein. Er spricht aber auch davon, dass die vorhandenen Mittel in der Gesellschaft verteilt werden müssen, und es stets den Widerstreit zwischen dem Wunsch nach mehr Geld im System und weniger Abzügen vom Lohn gäbe. Die junge Frau hakt nach: Sie sieht das nicht als Finanzproblem, sondern will wissen, ob Al-Wazir von jemandem operiert werden wolle, der eine Arbeitszeit von 48 Stunden auf dem Buckel hat. Will er nicht. Aber er spricht vom Fachkräftemangel und davon, dass es wichtig sei, Mut und Lust auf Ausbildung in dem Bereich zu machen. Mehr Leute müssten überhaupt wieder arbeiten, auch in Teilzeit, und angesichts der Alterspyramide sei qualifizierte Zuwanderung unumgänglich.

Ein Wespennest für andere Gäste, wie der 52-Jährige erfahren muss: „Es bringt nichts, wenn wir Kräfte haben, die kollegial nicht helfen können, weil man sie nicht versteht“, bringt eine Besucherin vor. Al-Wazir antwortet mit einer persönlichen Geschichte von seiner Tante.

„Ich kenne das Problem aus Erfahrung“, aber es gäbe aktuell nur die Entscheidung: so, oder ins Heim. Ob es künftige Pläne gäbe, etwa zur Anhebung der Sprachmilieus, fragt die junge Frau nach. Al-Wazir berichtet von berufsbegleitenden und Sprachförderprogrammen, betont, ihm sei bewusst, wie schwerwiegend das Problem sei. Und berichtet von seinem Zivildienst vor 30 Jahren.

Als man mit einem Einberufungsbescheid und einer Einsatzstelle ohne Vorbereitung habe loslegen müssen. Die Fragestellerin beharrt: Gerade in Pflegeheimen könnten ältere Menschen nicht mit den Pflegenden kommunizieren. „Al-Wazir stimmt zu, betont aber: „Wenn gar niemand da wäre, wäre es noch schlimmer.“

Das Image der Pflegeberufe ist nicht gut. Dabei bekomme man als Pflegender „unglaublich viel zurück“, so der Konsens. Mehr Werbung für den Beruf machen und zeigen, was für eine Befriedigung der Beruf sein könne, den „Berufsstolz“ weitertragen – das könnten auch die jungen Auszubildenden tun. Was die Frage nach den Rahmenbedingungen geradezu provoziert: Ein Schüler braucht morgens vier Stunden zur Schule, er kommt aus Flörsbachtal. ÖPNV? Fehlanzeige. Al-Wazir ist in seinem Element, hat aber keine Ad-hoc-Lösung parat. Er erzählt, dass er 2017 das Schülerticket Hessen eingeführt hat, eine Flatrate zum günstigen Preis. „Jedes Dorf jede Stunde“, sei das Grundgerüst für eine Mobilitätsversorgung, zu der man hinmüsse. Und der autonom fahrende Kleinbus sei auch nicht mehr so weit weg.

Beim selben Arbeitsträger auch noch einen Nebenjob machen? Schwierig, weil das Schlupflöcher für Sozialbetrug eröffne. Al-Wazir bezieht klare Position bei der Frage danach, ob man dem Mangel an Kräften in der Pflege nicht dadurch begegnen könne, dass man „Menschen, die das System ausnutzen, zum Beispiel Hartz-4-Beziehern“ den Zugang erschwere. Während aus dem Auditorium Rufe wie „Sehr gut“ und „Aber willst Du so wen in der Pflege?“ kommen, bezieht der Minister Stellung: Es gäbe aktuell so wenig Bürgergeldbezieher wie nie in den vergangenen 30 Jahren. Es sei heute immer so, dass man mehr Geld habe, wenn man arbeite. Man könne den Regelsatz erschweren, aber „unter 30 Prozent runter vom Regelsatz gehen wir nicht“.

In den USA, so Al-Wazir, habe man die gleiche Debatte geführt, mit einem fatalen Ergebnis: viele Suchtkranke, psychisch Kranke, Obdachlose.

Wie stolz die Auszubildenden auf ihre Leistung sind, zeigt der folgende Rundgang: „Im Skills Lab“ bekommt Al-Wazir Stationen präsentiert, in denen Babys, aber auch Patienten vor und nach einer Operation versorgt werden. Auch im „OP“ darf er dabei sein und nutzt die Chance, zahlreiche Fragen an die Beteiligten zu stellen.

VON ANDREA EULER