Wiedersehen statt Goodbye

Udo Bullmann (SPD), MdE

Als der Präsident des Hauses, David Sassoli, verkündete, dass das Austrittsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich angenommen ist, wurde es emotional im Brüsseler Europaparlament. Pro-europäische Abgeordnete fast aller Fraktionen sangen „Auld Lang Syne“, ein traditionelles schottisches Lied, das bei Abschieden gesungen wird. Und es flossen Tränen, sehr viele. Bei Abgeordneten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch bei vielen Menschen in ganz Europa.

Am 31. Januar ist Großbritannien endgültig aus der EU ausgetreten. Damit beginnt eine Übergangsphase, in der sich zunächst nicht viel ändern wird. Die Verhandler der EU und Großbritanniens haben jetzt genau elf Monate Zeit, bis zum 31. Dezember 2020, um einen Vertrag zu schaffen, der das künftige Verhältnis zueinander definiert. Abgesehen davon, dass es unzählige Felder gibt, die behandelt und geklärt werden müssen, ist das politische Verhältnis weiterhin kompliziert. Es geht um die Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik, sämtliche Handelsfragen, Grenzkontrollen und die Bewegungsfreiheit innerhalb Europas. Johnson sagte, er plane nicht, die Standards der EU in einem wie auch immer gearteten Vertrag festzuhalten. Das heißt, dass die europäischen Standards zum Beispiel bei Umweltschutz, Arbeitnehmerrechten und staatlichen Wirtschaftshilfen zur Disposition stehen. Gleichzeitig hat die EU mit Chefunterhändler Michel Barnier bereits die Position der EU festgelegt: „Keine Zölle, keine Kontingente, kein Dumping“. Es ist zu befürchten, dass sich die beiden Verhandlungsseiten wieder ähnlich verfahren gegenüberstehen wie vor dem Austritt. Boris Johnson schwebt ein komplett anderes Gesellschaftsmodell vor als das, das wir in der EU anstreben und er hat daraus auch niemals einen Hehl gemacht. Er will Steueroasen für Schwerreiche errichten, Sozialleistungen sind in seinen Augen verzichtbar, der Zusammenhalt der Gesellschaft nur relevant für jene, die das Eintrittsgeld bezahlen können. Das Singapur an der Themse, die viel beschworene Vision Johnsons wird ein Land sein für die Reichen und die Superreichen. In Großbritannien braucht es starke Kräfte, die ein weiteres soziales Auseinanderbrechen des Landes verhindern. Wenn das Zeitalter des Populismus überwunden ist, wird es vor allem auf die britische Labour Party, ankommen, die Kluft in der britischen Gesellschaft zu schließen und die einst so stolze demokratische Kultur des Landes wiederzubeleben.

Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden wir uns dafür stark machen, dass die Tür für eine Rückkehr in die EU offenbleibt. Hierfür die Hand zu reichen ist unsere Verantwortung als Europäerinnen und Europäer. Für uns bleibt die britische Labour Party im Ringen für ein besseres Europa und eine gerechtere Welt ein wichtiger Partner. Als Sozialdemokraten wissen wir, dass Zukunft nur gemeinsam geht. Unsere Gemeinsamkeiten enden nicht mit der Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU, sondern setzen sich im Einsatz für eine gerechtere Globalisierung und eine nachhaltige Zukunft von uns Europäerinnen und Europäern wie der gesamten Menschheit fort.