Turmfalken im Sinkflug

Ein junger Turmfalke: Im vergangenen Jahr gab es nur 61 Brutpaare im Kreis, das sind ganze 20 weniger als noch zehn Jahre zuvor. Foto: PM

Die heimische Turmfalkenpopulation befindet sich weiterhin in einem Bestandstief: Die ehrenamtlichen Vogelschützer und Beringer der Vogelwarte Helgoland Werner Peter (Freigericht) und Dr. Johannes Hetterich (Gelnhausen) stellten in der vergangenen Brutsaison kreisweit insgesamt 61 Brutpaare von „Falco tinnunculus“ an den bekannten Standorten fest.

Gelnhausen – Diese Zahl habe deutlich unter den Werten vergangener Jahre gelegen. So hätten etwa im Jahr 2012 noch 81 Turmfalkenpaare gebrütet, 2018 seien 70 der jährlich kontrollierten Standorte besetzt gewesen. Ebenfalls auffallend gering sei die Reproduktionsrate der brütenden Falken ausgefallen, teilen die Vogelkundler mit. Insgesamt hätten sie 233 Jungfalken festgestellt. Die resultierende Rate aus flüggen Jungvögeln pro Paar hätte damit bei 3,8 Tieren gelegen. Das sei ein Wert, der deutlich unter den langjährigen durchschnittlichen Brutresultaten liege und insbesondere dem Mangel an Kleinsäugern im vergangenen Jahr geschuldet sei.

Die Vogelschützer sehen das schlechte Ergebnis der vergangenen Brutsaison nicht als Einzelfall an. Bei genauerer Betrachtung der Zahlen, so Peter und Hetterich, lasse sich über die vergangenen zehn Jahre ein Trend erkennen: Die wichtigsten Kenndaten der heimischen Turmfalkenpopulation sinken seit Jahren. Die Gründe sind nach Angaben der Vogelkundler vielschichtig. Der kontinuierliche Wegfall bekannter Traditionsstandorte in alten Scheunen und Gemäuern lasse die Zahl der Brutmöglichkeiten sinken. So seien in den vergangenen Jahren etwa in Wächtersbach-Aufenau, Schlüchtern-Wallroth und Sarrod die eigens konzipierten Greifvogel- und Eulenbrutkisten dem Abriss von Scheunen zum Opfer gefallen. Auch der Konkurrenzdruck durch andere turmbrütende Vogelarten spiele eine zunehmend größere Rolle. „Während sich die Turmfalken die speziellen Brutkisten einst fast ausschließlich mit den heimischen Schleiereulen teilen mussten, belegen inzwischen die einwandernden Nilgänse immer häufiger die Greifvogelnisthilfen auch an langjährigen Traditionsstandorten wie der Marienkirche von Gelnhausen oder der Laurentiuskirche in Großkrotzenburg“, teilt Hetterich mit. Die erhebliche Bestandszunahme der heimischen Dohlen bringt Konkurrenzdruck, ebenso die Zunahme verwilderter Haustauben. Sowohl die Nilgans als auch die Dohle beginnen ihr Brutgeschäft bereits im zeitigen Frühjahr, sodass die Turmfalken oft das zeitliche Nachsehen hätten.

Einstige Populationszentren der Turmfalken, etwa in Gelnhausen, hätten durch die genannten Ursachen massive lokale Bestandsrückgänge hinnehmen müssen.

So brüteten im Jahr 2012 allein in der Kernstadt von Gelnhausen acht Turmfalkenpaare an bekannten und registrierten Traditionsbrutplätzen. In der abgelaufenen Saison war davon nur noch lediglich ein Standort besetzt. Bad Soden-Salmünster stellte in der abgelaufenen Brutsaison mit insgesamt zehn Paaren die am dichtesten besiedelte Gemeinde. In den östlichen Regionen des Kreises sei der Konkurrenzdruck noch nicht derartig hoch wie im Westkreis. Ein Umstand, der das gute Vorkommen in den Dörfern rund um die Kurstadt positiv beeinflusse.

Die heimischen Turmfalken sind teilweise Zugvögel. Während die adulten Vögel insbesondere in milden Wintermonaten oft in heimischen Gefilden überwinterten, unternähmen die Jungfalken einen sogenannten Jugendzug und verbrächten den ersten Winter in Südwesteuropa oder Nordafrika.

Wie die ehrenamtlichen Vogelschützer in ihren eigenen Beringungsdaten anhand eines Wiederfundes in Marokko belegen konnten, ziehen die etwa 200 bis 300 Gramm schweren Greifvögel teilweise bis über 2000 Kilometer gen Südwesten. Eine Vielzahl der im Kreis beringten Turmfalken kehren nach dem ersten Winter zurück in die Region und versuchen, ein Brutrevier zu finden. Es gibt jedoch auch Vögel, die mehrere Hundert Kilometer entfernt registriert wurden. So konnten Falken, die im Sommer 2021 in Brachttal-Schlierbach, Biebergemünd-Kassel oder Freigericht-Gondsroth beringt wurden, im Folgejahr in Ostthüringen oder Sachsen-Anhalt festgestellt werden.

Insbesondere vor dem Hintergrund der sich dynamisch verändernden Brutbedingungen für die heimischen Turmfalken spielten die kontinuierlichen Brutplatzsanierungen der ehrenamtlichen Vogelschützer eine große Rolle für den heimischen Turmbrüterschutz.

Das Ziel von Peter und Hetterich ist es, die kreisweit über 200 Turmbrüter-Kisten dauerhaft instand zu halten. Die winterlichen Reinigungen der Brutplätze seien aber arbeits- und zeitaufwendig. Neben kleineren Reparaturen bestehe die Hauptaufgabe insbesondere im Abtragen alter Kot- und Gewölleschichten. In den engen Kirchtürmen und Dachböden stelle das oft eine sehr staubige und schmutzige Arbeit dar. Im Winter hätten die Vogelschützer in Bad Orb, Linsengericht-Lützelhausen, Nidderau oder Steinau-Ulmbach bereits 16 Kisten für die kommende Brutsaison funktionstüchtig gemacht. Die Vogelkundler wollen diese Arbeit fortsetzen, um die Bedingungen für die Turmfalken bestmöglich zu gestalten.
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